Die Pandemie der Abwertung

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Über die Ursache, die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe des Virus gibt es unterschiedlichste Theorien, Annahmen und Meinungen und ich möchte keine von diesen hier diskutieren, sondern das Virus, sein Vorhandensein, von einer anderen Perspektive her beleuchten, nämlich als ein Echo, sowie seine Konsequenzen als ein sich manifestierendes Abbild unserer Gesellschaft. 

The pain is the messenger. Was könnte seine Botschaft sein?

Werfen wir zunächst einen Blick auf das Reglement an Verhaltensweisen, das sich zu seiner Bekämpfung eingestellt hat. Eine nur schwer zu ertragende Agenda von Geboten, die uns zur Distanzierung zwingen, die aus dem sozialen Wesen Mensch ein kontaktarmes, ein kontaktscheues Individuum macht, verbannt in eine wesensfremde Isolation, in der einzig der Konsum als kurzfristige Linderung lockt.
Formulieren wir es etwas anders, etwas schärfer und von der anderen Seite kommend: 
Eine Gesellschaft, die das Diktat von Effektivität und Wachstum zur obersten Direktive erklärt hat, dem der Einzelne unter der Leitlinie des konsumorientierten Indivualismus` zu dienen hat; eine Leistungskultur, die nicht davor zurückschreckt selbst die Gesundheit auf den Markt zu tragen und die alles was nicht der unmittelbaren Wertschöpfung zuzurechnen ist hemmungs- und schamlos an den Rand drängt. Das hohe Lied der marktkonformen Demokratie.
Ich denke das Echo könnte deutlicher nicht sein.

Das absurde ist, dass all dies unter der Maßgabe der Empathie und des Gesundheitsschutzes geschieht. Einer Empathie und einer Achtung vor der Gesundheit des Menschen, die der Politik ansonsten bei der Durchsetzung ihrer Interessen vollkommen gleichgültig ist. 

Werfen wir nun einen Blick auf die Symptome: Atemnot, Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn, Fieber. Auch hier lassen sich die Parallelen unschwer ablesen. Eine Jagdgesellschaft des Profites außer Atem, dem Geschmack einer einfachen allgemeingültigen Ethik verlustig gegangen, eine Welt im Fieber.

Diese Betrachtung der Dinge mag eine Zugespitzte Verallgemeinerung sein (obwohl ich sie für bedenkenswert halte), zudem ist sie eingetrübt durch eine gewisse Verbitterung, die auch ich nicht verleugnen kann. Ein Gemisch aus Irritation, Zukunftsangst, Ohnmacht, ja Kontrollverlust. Gewissermaßen weitere Symptome, die leicht verleiten die Dinge einseitig zu beschreiben und sich dabei eher auf das Gefühl des Kontrollverlustes zu fokussieren anstatt nach Möglichkeiten zu seiner Beseitigung zu suchen. Und gerade dieses Symptom hat sich nun auch in der allgemeinen öffentlichen Diskussion sichtbar gemacht, nämlich dass unsere unterschiedlichen Haltungen zu dieser Krise, weniger den Charakter einer offenen Diskussion haben, sondern vielmehr als eine Eskalation gegenseitiger Abwertung zu Tage treten. Der allgemeine Umgangston, der sich in den letzten Wochen und Monaten als Normalität herausgebildet hat ist gleichermaßen schädlich wie beschämend. Das gilt selbstverständlich für beide Seiten der aktuellen Diskussion. (Eigentümlich genug, dass man glaubt, das hinzufügen zu müssen)


Ich möchte jetzt nicht die unterschiedlichen Argumente der beiden Seiten in die jeweilige Waagschale werfen, aber dennoch das Bild der Waage benützen um zu zeigen welcher Schaden dieser Umgangston ganz unabhängig von den Inhalten in unserem System anrichtet. Mit System meine ich weniger die politische oder gesellschaftliche Konstruktion des Staates, sondern die Summe aller Empfindungen und Erfahrungen, die sich salopp gesagt in der allgemeinen Stimmung ausdrückt. Es ist in meiner Anschauung jedoch weit bedeutender und kraftvoller als nur eine Stimmung. Es ist das, was man als kollektives Unterbewusstsein bezeichnen kann. Jene unsichtbaren Kräfte, die sich im kollektiven System ansammeln um dann mit entsprechender Wucht zum Ausdruck kommen.

Das Grundprinzip eines jeden Systems ist es in Balance zu bleiben, oder aber bei Ungleichgewicht wieder in Balance zu kommen, wie es sich eben bei einer Waage darstellt, in deren Schalen das gleiche Gewicht ruht. Nun stellen wir uns die beiden Arme der Waage als verlängerte Schienen vor auf denen sich die Gewichte nach aussen oder nach innen bewegen können. Das Zentrum, der Angelpunkt der Waage stellt dabei die mögliche Lösung eines Problems dar.

Wenn sich eines der beiden Gewichte nur ein winziges Stück nach aussen bewegt ist das Gegengewicht gezwungen sich genauso zu verhalten, um das Gleichgewicht zu halten. Sollte es dabei ebenso nur ein kleines zu Stück zu weit nach aussen geraten, muss wiederum das andere Gegengewicht nachziehen. Auf diese Weise entfernen sich beide Gewichte immer weiter vom Zentrum bis möglicher Weise eine der Schienen das Gewicht nicht mehr tragen kann und bricht. 

Wie aber müssen die Kräfte des Systems reagieren, wenn nun eines der beiden Gewichte die Richtung ändert und wieder nach innen wandert? Auch hier muss es die Gegenseite gleichtun. Sie muss dem anderen Gewicht entgegenkommen. Der Prozess wird umgekehrt und beide Seiten streben einer gemeinsamen Lösung zu.

Das mag ein recht einfaches Bild sein, aber ich halte es für äußerst klar, denn es zeigt eines, nämlich dass wir als Einzelne innerhalb einer Gesellschaft oder Gemeinschaft die Möglichkeit haben uns zu entscheiden in welche Richtung wir uns bewegen wollen. 

Die Rezeptur der Abwertung, der Beschimpfung, des Blosstellens ja der Beleidigung sind sicher nicht geeignet. Eher sind sie dazu geeignet eine Demokratie schneller erodieren zu lassen als es alle Talkshows der Welt es beschreiben könnten.
Voltaire würde mit eifriger Kraft seinen berühmten dramatischen Satz ausrufen:
Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.

Wir haben, so denke ich, mit unserer Verfassung klare Leitplanken gesetzt innerhalb derer gesellschaftliche Auseinandersetzungen geführt werden können. Sollte sich, gleich welche Seite geradezu gezwungen sehen, darüber hinauszugehen ist es eben nicht hilfreich alles, was sie bis dahin geführt hat samt und sonders zu verdammen sondern sich zu fragen wie es dazu kam, dass sie sich genötigt fühlte sich so zu verhalten. Abwertung und Ausgrenzung sind keine Mittel mit denen Freiheit bewahrt werden kann. Sie sind in jedem Falle, immer, eine Reaktion. Eine Reaktion die zwei Fragen stellt. Erstens: Was genau hat zu der Situation geführt, an der ich nicht mehr anders kann als den anderen abzuwerten und zweitens inwiefern bin ich selbst durch mein Handeln daran beteiligt gewesen. 

Die Folgen dieser Krise sind politisch und gesellschaftlich äußerst brisant. Wir werden alle zu höchster Aufmerksamkeit aufgerufen sein. Nicht nur um tiefergehenden Schaden zu vermeiden, sondern vor allem auch um die Chancen zu erkennen, die sich ebenso daraus ergeben können. Um den Gedanken von oben wieder aufzugreifen, das Echo zu verstehen, es zu betrachten. Dazu ist zumindest ein Moment des Innehaltens notwendig. Wir sollten auf keinen Fall den Mechanismus des Auseinanderdriftens weiter zulassen oder gar fördern. Auch wenn es wahrlich schwer fällt einen Weg zu finden auf dem sich die beiden Seiten wieder auf Augenhöhe begegnen können. Es ist wichtig sich in Erinnerung zu rufen, dass die Übung in Einsicht, also sich selbst ebenso wie den vermeintlichen Gegner zu betrachten mit größerer Wahrscheinlichkeit das System beruhigt als uns in einer Spirale der gegenseitigen Abwertung zu verstricken. Das würde nur Nutznießer aus den verschiedensten Richtungen auf den Plan rufen. Lasst uns ins Zentrum zurückkehren und etwas aufmerksamer bei der Wahl unserer Mittel sein. Wir wollen nicht Chancen verspielen, nur weil wir sie nicht sehen, denn das nächste Echo würde uns ansonsten mit viel größerer Wucht treffen.

“Eine ehrliche Meinungsverschiedenheit ist häufig ein gutes Zeichen für einen Fortschritt.” Mahatma Gandhi

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