MOMENTAUFNAHME
Es gibt wohl kaum etwas unbefriedigenderes als Warten. Warten ist Stagnation in Vollendung. Dieses hohle, graue, nervenzermürbende Antizipieren von etwas, das kommen möge, von dem man annimmt dass es kommt, von dem es heißt dass es kommt.
( Notiz für die ToDo-Liste: Mail an Godot schicken )
Sitzt man an einer Bushaltestelle, kann man auf der Anzeige lesen, dass der Bus kommt, in 10 Minuten, 8 Minuten, 7 Minuten. Die Anzeige ist natürlich auch nur eine Behauptung, noch 4 Minuten, zumeist liegt sie in ihren Schätzungen richtig, sagt die Erfahrung. Noch drei Minuten. Die Anzeige an der Bushaltestelle liefert eine gewisse Sicherheit, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich herausstellen muss, ob sie mit ihrer Prophezeiung richtig liegt. Wenn der Bus in drei Minuten nicht kommt, nun gut vielleicht hat er ja nur ein wenig Verspätung, aber was wenn er auch in vier Minuten nicht kommt. Das ist eine Frage, die ich mir auch in fünf Minuten stellen kann. Wenn der Bus nicht kommt springt sie wieder auf 20 Minuten und so weiter.
Ich sitze nachts vor dem Laptop und ich weiß genau, dass es da etwas gab, das ich machen wollte. Ich blicke auf, blicke an die Wand. Da ist keine Anzeige, nichts, kein Richtwert. Ich gönne mir die Müdigkeit nicht. Die Müdigkeit macht mir ein schlechtes Gewissen. Ich sitze doch nicht einfach so hier vor dem Laptop. Ich wollte doch etwas machen. Ganz sicher gab es da doch etwas das ich machen wollte. Irgendwas.
Ich könnte eine Zigarette rauchen. Ich rauche eine Zigarette. Sicher fällt es mir dann wieder ein, sicher erinnere ich mich dann an das, was ich machen wollte. Schließlich ist eine Zigarettenlänge vergangen.
Den Kopf auf beide Hände gestützt reibe ich mir die Augen. Drücke beide Handballen auf die Augen. Ein leichtes Jucken, also drücke ich fester, das hilft gegen das Jucken und löst gleichzeitig ein neues Jucken aus. Ich reibe wieder. Der Kreislauf beginnt von neuem. Immerhin eine Tätigkeit. Kleine lila und grüne Punkte flirren vor Schwarz. Vielleicht erscheint zwischen den flirrenden Punkten eine Antwort auf die Frage, was ich eigentlich machen wollte. Was war es? Was? Die Frage verhallt in meinem leeren Kopf.
Es schleicht sich eine neue, eine viel drückendere, eine pochende, viel schmerzhaftere Frage in die Kellergänge meines Bewusstseins hinein: Wozu? Es ist eine machtvolle Frage. Herrschsüchtig. Gnadenlos. Kaum hat sie sich einmal in die Gedanken hineingeflüstert diffundiert sie in alle Schichten der Wahrnehmung, dringt in alle Ritzen der Reflexion, schwingt sich auf zu einem schauderhaften Donner, der nichts neben sich duldet und alles andere ins Schweigen verdammt. Arglistig ist es, dieses Wozu. Ein Gedanken-, ein Hirnparasit, der sich von Hoffnung ernährt. Dieser Parasit lässt schließlich, hat er sich einmal eingenistet, siegesgewiß seinen Donner verhallen, bis er fast unhörbar wird und sich neue Keime der Motivation zu strecken beginnen. Sie dürfen wachsen, gedeihen, bis sie genug Nahrung bieten. Dann, kaum glaubt man Hoffnung fassen zu können, beginnt es wieder, das Flüstern. Wozu? Die Handballen gleiten aus meinen Augenhöhlen, über die Augenbrauen an die Stirn. Das Wozu hält noch eine kleine Gemeinheit an der Hand. Das Wörtchen denn. Wozu denn? gefolgt von einem brennendem Stich: noch. Wozu denn noch?
Die Hände halten den Kopf einzig und allein um zu verhindern, dass er auf die Tastatur knallt. Es mag angehen, dass die gewohnte Kraft abwesend ist. Das ist nicht schön, aber es ist zu ertragen, denn man darf vermuten, dass sie zurückkehrt.
An die Wurzeln des Selbstverständnisses aber geht es wenn die Motivation brüchig wird.
Der von mir nach wie vor hochverehrte rücksichtslose Humorist Thomas Bernhard hat es in seiner einzigartigen Übertreibungskunst auf die simple Formel gebracht: Wenn meine Existenz über mein Interesse an meiner Existenz hinausgeht, bin ich in der Differenz nichts als tot.
Die Tasse auf meinem Schreibtisch hält klassischer Weise einen Schluck kalten Kaffes parat. Dazu würde sich eine weitere Zigarette anbieten. So sei es mir gegönnt. Ich bin klug genug mich vom Alkohol fern zu halten. Besser gesagt mir ist es vorsorglich gelungen keinen im Haus zu haben, denn ich bin schwach und möchte schlafen. Schlaf tut not. Echter, tiefer Schlaf, so wie er mir nach einem erfüllten arbeitsreichen Tag geschenkt wird, einem erschöpfenden, schaffungsreichen Tag. Nicht dieses flache dahin dämmern, das mich seit Wochen, seit Monaten durch die Nächte bringt. Nur ein klein wenig beruhigender Schlaf, wenigstens, der mir den Zugriff auf ein Mindestmaß an Kraft erlaubt, die mir den Mut gibt morgen den Briefkasten zu öffnen.
Ich schreibe diese deutlichen Zeilen …… Wozu?….weil …. wozu denn? …. nun ja weil … wozu denn noch?
Man mag vermuten, dass eine solch deutliche Beschreibung der eigenen Niedergeschlagenheit auf Mitleid bedacht ist, aber dem ist nicht so. Das mitleidige Klopfen auf die Schulter hinterlässt lediglich blaue Flecken auf der dünnen Haut. Mitleid nährt nicht. Aber Trost mitunter und so schreibe ich diese deutlichen Zeilen nicht um getröstet zu werden, sondern um vielleicht irgendjemandem da draussen den Trost zu bieten, dass er mit all diesen Gefühlen, die diese Zeit ihm aufbürdet nicht allein ist. Denn auch wenn es kein Heilmittel ist, so kann es lindernd sein die eigene Niedergeschlagenheit offen zu legen. Es könnte eine Linderung sein die Verletzbarkeit zu zeigen. Es könnte hilfreich sein das Verständnis füreinander wieder zu finden; dem Zwist, dem Hass, der brodelnden Wut zu begegnen und dadurch einen Weg zu öffnen wieder aufeinander zuzugehen als der Versuchung anheim zu fallen, die uns die zerstörerische Lust an der Überhöhung bietet.
Ich gönne mir ein paar pyromanische Gedanken. Das mag erlaubt sein und sie wärmen ein wenig. Im übrigen verweigere ich den Begriff Mindset. Jetzt, hier und jetzt für diesen Moment verweigere ich mich der Verantwortung, die mir dieser Begriff aufzuerlegen versucht. Mir ist nicht nach aufmerksamer Abwägung mit der Aussicht auf konstruierten Optimismus. Mir ist nach Wut. Entsprechend verweise ich diesen und alle ihm verwandten Begriff in den Bereich einer selbstgerechten Marketingideologie. Das erlaube ich mir jetzt. Für diesen Moment. Sei’s drum. Ich lege die Maske ab. Die Maskerade der Kontrolle. Das Partyhütchen der Zuversicht. Runter mit der Schminke.
Ich hätte gern einen Wodka. Ja, und nicht nur einen. Ich möchte ein betrunkener grimmiger Mann sein, zynisch, rücksichtslos auf einer Woge von Beleidigungen und Beschimpfungen reiten. Schattenboxen mit all den Argumenten und Diskussionen, die so laut und selbstgerecht über den Bildschirm rasen. Rasen möchte ich, rasend möchte ich zumindest der Worthülse Systemrelevant eins auf die Fresse hau´n.
Ein kurzes aufflackerndes Bedürfnis. Allerdings nicht stark genug um mich aus dem Haus zu treiben. Es ist spät. Die Tankstelle dann doch zu weit weg. Darf ich eigentlich jetzt raus?
Auf der Straße draußen ist es merkwürdig still. Ich lausche in die Stille hinein und wenn ich den Atem anhalte kann ich das Knistern in der Atmosphäre hören. Die Elektrizität der Natur, eine gewisse Elektrostatik die stetig zur Entladung strebt. Ich hätte nicht erwartet, dass sie Ähnlichkeit mit einer Chipstüte hat. Vielleicht habe ich auch nur einfach Hunger.
Auf dem Bildschirm ploppt ein aufdringliches Fenster auf. Mein Virenscanner verlangt nach einem Update. Nicht jetzt. Mir ist nicht nach Ladebalken. Ganz bestimmt nicht.
Es dämmert.
Ja ich weiß, schon klar. Ja doch ich weiß es ja. Ich weiß, was ich tun werde wenn der Bus nicht kommt, und auch der nächste nicht kommt. Ich werde aufgeben. Ich werde das Warten aufgeben und das tun, was ich in diesem Falle immer getan habe. Ich werde dann eben verdammt noch mal zu Fuß gehen.
(Nachtrag zur Notiz auf der ToDo Liste: Fick Dich, Godot)